Pferde und Angst – wie Angst entsteht und was man dagegen machen kann

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Ein toller Urlaub am Meer, da dürfen unsere Pferde natürlich nicht fehlen. Dass das aber auch zu Problemen führen kann, gehört auch zur Geschichte.

Pferde lieben es, im Wasser zu planschen. In meinem ersten Urlaub auf Norderney wollte mein eher unsicheres, ängstliches Pferd, ein Franziskus-Nachkomme namens Franz, gar nicht in die Nähe dieser komischen, sich auf ihn zu bewegenden Wellen – und hatte davor erstmal Angst.

Mit Geduld, viel Ruhe, Vertrauen und Liebe hat er aber gelernt, dass das Wasser ungefährlich ist. Und dass das Planschen darin sehr viel Spaß machen kann. Mittlerweile ist er eine regelrechte Wasserratte und genießt es auch hier, bei Regenwetter durch jede Pfütze zu laufen.

Wie in dem folgenden Video allerdings gut zu sehen ist, kann ein Pferd immer auch mal in Angst geraten. Oder es kann sogar ein Reitunfall passieren. In diesem Fall wollte ich ein bisschen tiefer ins Wasser, das hatten wir auch schon zig Mal ohne Probleme gemacht. Dieses Mal war Franz allerdings ein bisschen unsicher. Es ist ein Tier, und so kann ein Pferd in der einen oder anderen Situation auch mal anders reagieren, als man denkt.

Er hat sich von der Welle weggedreht, unter ihm der Boden war uneben, und so kam es dazu, dass wir zusammen umgefallen sind. Da war Franz auch noch relativ entspannt, doch leider hatte ich vergessen, meine Airbag Weste auszuziehen. Diese hing noch am Sattel fest. Damit Franz mich nicht verletzt, habe ich mich ruckartig nach hinten bewegt, um die Airbag Weste vom Sattel zu lösen. Das knallt erst laut und zischt dann im Anschluss. Franz geriet in Panik und ist aus dem Wasser gerannt. Gott sei Dank ist uns nichts Schlimmes passiert. Franz ist auf mein Rufen auch direkt am Wasser stehen geblieben. Ich konnte wieder aufsteigen und bin nochmal ganz ruhig und entspannt durch den Pril geritten, um ihm seine Angst direkt wieder zu nehmen.

Ich möchte das Video zum Anlass nehmen, genau zu erklären, wie Angst beim Pferd entsteht, was dann passiert, wie sich Stress bei Pferden äußert, wie man ein Pferd beruhigen kann und was man dagegen tun kann, wenn man selbst unsicher oder ängstlich wird.

Wie entsteht Angst bei Pferden?

Pferde sind hochsensible Fluchttiere. Die Flucht ist seit Millionen von Jahren für das Pferd die effektivste Strategie gegen Bedrohung und sichert somit größtmögliche Überlebenschancen. Das Herz-Kreislaufsystem, die Atmungsorgane, das Muskel-Skelettal-System sowie die Sinnesorgane ermöglichen eine schnelle Flucht bei Gefahr. Die Urinstinkte, die bei den Pferden früher überlebenswichtig waren, sind auch heute noch aktiv. So werden in beängstigenden Situationen, wie zum Beispiel Enge oder Bedrängnis, sofort körpereigene Mechanismen aktiv, die den Fluchtinstinkt auslösen – bei dem einen Pferd mehr, bei dem anderen weniger.

Woran erkennt man ein gestresstes oder ängstliches Pferd?

Zunächst einmal muss man zwischen Angst und Stress unterscheiden. Wenn der Körper immer wieder in eine beängstigende Situation gerät, ohne wieder zur Ruhe zu kommen, spricht man von Stress. Das gilt übrigens auch für uns Menschen, deswegen sind Ruhephasen auch so wichtig.

Ursachen können in der Haltung, der Fütterung, dem Umgang mit dem Tier oder auch dem Training liegen. Große Angst ist bei Pferden unschwer zu erkennen: Der Kopf wird hoch getragen, die Nüstern weiten sich, die Augen sind aufgerissen, verspannte Bewegungen, erhöhte Atemfrequenz, häufiges Äppeln. Zudem schwitzt das Pferd möglicherweise.

Welche Folgen hat dauernder Stress für Pferde?

Negativer Stress im Training und der Umgang gelten neben falscher Fütterung als Hauptauslöser für Magengeschwüre. Durch einen erhöhten Cortisolspiegel wird die Magenschleimhaut weniger durchblutet, dadurch nimmt die Abwehrfähigkeit des Magens ab. Studien zufolge sind jedes zweite Freizeitpferd und 60 Prozent aller Sportpferde betroffen. Durch Überforderung und Stress im Training können auch Verhaltensstörungen wie beispielsweise das Koppen entstehen.

Du möchtest mehr über das Verhalten von Pferden lernen? Das IST-Studieninstitut bietet unter anderem die Weiterbildungen „Pferderverhaltenstrainer:in“ und „Grundlagen der Pferdephysiotherapie“ an. Flexibel kannst du dich in nur wenigen Monaten neben dem Beruf weiterbilden.

Wie verhalte ich mich am besten?

Zunächst ist es immer besser, die ersten Warnsignale ernst zu nehmen. Legt dein Pferd die Ohren an, schlägt es mit dem Schweif, zieht es den Kopf hoch? Ob beim Reiten oder beim Führen: Wenn dein Pferd ängstlich reagiert, solltest du darauf achten, gelassen zu bleiben. Dein Pferd spiegelt dich und weiß genau, wie es dir geht. Du kannst deinem Pferd keine Gefühle vorspielen oder vorenthalten. Als hochsensibles Fluchttier spürt es instinktiv genau, was in dir vorgeht, und das gilt besonders für Angst. Ein eher ängstliches Pferd wird dich beim Reiten genau ins Visier nehmen. Ängstliche Reiter sollten daher besser auf erfahrene, selbstbewusste Pferde setzen. Nervöse, schreckhafte oder auch junge Pferde sollten von erfahrenen Reitern geschult werden, die die nötige Sicherheit vermitteln können.

Woran erkennt mein Pferd, dass ich gestresst bin oder Angst habe?

Wenn Menschen Angst bekommen, werden bestimmte Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Der Muskeltonus verändert sich. Die Haut wird blass oder man errötet, man fängt an zu schwitzen. Der Puls beschleunigt sich, der Körper bereitet sich auf Kampf oder Flucht vor. Das Gehirn von Menschen hat sich seit der Steinzeit nämlich kaum verändert.

Dein Pferd kann deine Angst förmlich riechen. Pferde haben einen besseren Geruchssinn als die meisten Hunderassen. Dein Pferd riecht den Hormoncocktail und denkt: Aha – hier lauern also überall Gefahren! Das genau denkt dein Pferd vielleicht nicht, aber es spürt instinktiv, dass du als Leitstute Gefahr wahrnimmst – und so überträgst du deine Nervosität auf dein Pferd.

Menschen verändern in bestimmten Situationen, beispielsweise bei Angst, die Körpersprache. Das entgeht deinem Pferd natürlich nicht. Der Körper ist angespannt, die Schultern sind hochgezogen. Als Reiter kommt dazu, dass sich der Muskeltonus so verändert, dass du automatisch mehr Druck mit den Schenkeln ausübst. Dein Verhalten ist auf jeden Fall anders. Und dein Pferd registriert jede kleinste Veränderung. Sogar deinen erhöhten Puls kann dein Pferd spüren. Da kann das Vertrauen zwischen euch noch so groß sein – du bist die Leitstute, und entweder sendest du die Signale, dass Gefahr droht, oder aber dein Pferd orientiert sich gar nicht erst an dir, weil du generell Unsicherheit ausstrahlst und so sein Vertrauen nicht gewinnen kannst.

Jennifer Kastner auf ihrem Pferd.
Jennifer Kastner in ihrem Element.

Was kann ich dagegen tun, dass ich nervös werde, oder Angst empfinde?

Natürlich gibt es Übungen mit deinem Pferd, um euer gegenseitiges Vertrauen zu stärken. Die gute Nachricht ist, dass du intensiv an deinem Verhalten arbeiten kannst. Jeder Reiter kennt das Thema Angst und muss sich früher oder später damit auseinandersetzen. Ob mit dem eigenen Pferd, oder ob mit einem anderen Pferd schlechte Erfahrungen gemacht wurden: Wer viel reitet, hat nicht immer nur positive Gefühle.

Wir haben vier Grundemotionen: Wut, Trauer, Freude und Angst. Angst gehört unweigerlich zum Leben und auch zum Reiten dazu. Der Mensch neigt zur Verdrängung, was aber in diesem Fall absolut nichts bringt. Mit Angst ist hierbei nicht nur die Angst vor dem Aufsteigen, Reiten, Ausreiten und Springen gemeint, sondern vielmehr auch die Versagensangst sowie die Angst davor, was die anderen sagen oder denken könnten. Der richtige Weg ist erst einmal, sich die eigenen Ängste einzugestehen, um dann aktiv daran zu arbeiten.

Ich sage immer in meinen Lehrgängen: Wenn du nicht an dich glaubst, wird niemand an dich glauben. Nicht mal dein Pferd. Das fängt bei der Gedankenhygiene an. Menschen neigen dazu, sich selbst klein zu machen. Nur rund drei Prozent unserer Gedanken sind positiv – und genau daran muss man arbeiten. Wenn du vor dem Turnierstart die ganze Zeit denkst: „Ich kann das nicht, die anderen sind alle viel besser“, dann bereitet sich dein Unterbewusstsein schon darauf vor, zu versagen. Und so wird es dann auch kommen.

Wenn du nervös bist, verändert sich deine Atmung. Genau das darf nicht passieren. Das kann man aber sehr gut trainieren. Mit bestimmten Atemtechniken kannst du dein Herz- Kreislaufsystem ganz leicht und schnell wieder herunterfahren und deine Angst schnell wieder in den Griff bekommen. Und zwar bevor dein Pferd auch nervös wird. Dein Verhalten als Reiter entscheidet dabei für dein Pferd zwischen Angst und Vertrauen.

Auch deine Körpersprache kannst du so trainieren, dass du adäquat reagierst und dem Pferd als sicherer Reiter mehr Vertrauen geben kannst. Mit bestimmten Entspannungstechniken kannst du auch lernen, deine Nervosität schnell in den Griff zu bekommen. Ich arbeite dazu mit Ruhebildern, die sich dann auf jede erdenkliche Alltagssituation übertragen lassen und dir beispielsweise auch bei Prüfungsängsten, Bewerbungsgesprächen und ähnlichem helfen.

Natürlich gibt es auch Situationen, wie zum Beispiel schlimme Reitunfälle, die erfordern, dass ein Fachmann hilft. Aber auch das kann man sehr gut in den Griff bekommen. Angst ist relativ – und beginnt immer im Kopf.

Jennifer Kastner ist verheiratet, hat vier Kinder, vier Hunde und drei eigene Pferde. Am IST hat sie die Weiterbildung zur Pferdeverhaltenstrainerin absolviert. Die Diplom-Sozialpädagogin gibt als Mentaltrainerin Lehrgänge zum Thema Mentale Stärke, speziell für Turnierreiter – aber unter anderem auch für andere Sportler:innen, Führungskräfte, Lehrer:innen, Kindergärten. Als Wingwave Coach arbeitet sie auch im Eins-zu-eins-Coaching, um gezielt Ängste, Unsicherheiten und Blockaden zu lösen.

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